„Intrauterine“ – Fühlen wie im Mutterleib

Sichtweisen verändern sich. Sie unterliegen dem Wandel der Zeit und dem des gelebten Lebens:
Die Art und Weise der Sicht.
Das Leben aus anderer Perspektive betrachten.
Das Leben aus der Perspektive Anderer betrachtet, ist nicht die Sicht dessen, der darauf blickt.
Zurück blicken, Vergangenes zurückholen.
Mit Worten.
Ausgesprochen, sind sie flüchtig. Flüchtig wie der Moment.

Momentaufnahmen:
Glückliche Momente.
Momente ohne Glück, die genauso schnell vergehen.
Unbesorgt zu sein, wünscht man sich in diesen Momenten.
Doch ist gewiss, dass es kein Zurück gibt in die Unwissenheit, in die Unbesorgtheit, in das Unbekümmertsein. In das Fluidum des Vergangenen:

Eine Reise in die eigene Vergangenheit. Zurück zum Zeitpunkt der Geburt und noch weiter zurück bis zum Zeitpunkt des Entstehens. Dorthin, wo wir noch unwissend dessen harrten, was kommt.
Auf uns zu. Mit uns. Und darüber hinaus: in uns.
Dann wieder vorspulen, bis sich jemand um uns kümmert.
Zeitraffer bis: wir uns kümmern müssen. Um die, die sich noch nicht und die, die sich nicht mehr kümmern können.
Um das, was dann bleibt. Von denen, von uns.

Das zeigt uns Lilith, Fotokünstlerin aus den Niederlanden.
Kreislauf des Lebens, in den wir ungefragt fallen und den wir mit unserem Sein erfüllen. Im besten Falle: ausfüllen. Etwas zum Füllstand beitragen. Etwas, was bleibt. Dokumente des Seins.

Lilith, deren Künstlername auf das Entstehen des Menschen verweist, sagt in ihrem Statement als Künstlerin: „Der Mensch ist eine Fleisch gewordene Verwundbarkeit.“.
Lilith, die nicht Eva sein durfte, trägt ihre Verwundbarkeit offen zur Schau.
Doch bei der Künstlerin Lilith ist es kein Zurschaustellen. Ihre Wunden klaffen nicht sichtbar.  
Ihre Sichtweise: „ jedes Selbstporträt ist ein Suchen nach dem Zartesten, das ein Mensch verbergen kann.“
Und so tritt ihre Kunst in den Dialog mit uns. Sie wirft Fragen nach der Verletzbarkeit des Menschen auf:

Wie verletzbar sind wir eigentlich?
Wie sehr, wie stark können wir uns gegenseitig verletzen?
Was bewahrt uns vor Verletzungen jeglicher Art?
Können wir uns unsere Verletzbarkeit bewahren?

Oder müssen wir verdrängen, was uns verletzt?
Können wir flüchten vor Verletzungen?
Sind wir Flüchtende?
Wovor flüchten wir?
„Es ist beängstigend“, sagt Lilith.
Welches sind unsere Ängste?
Wie oft und wodurch werden wir auf sie zurückgeworfen?

Es bleiben: Sichtweisen.
Ankämpfen dagegen, dass unsere Sicht eingeengt ist oder wird und unsere Weisheit nicht genügt Schlimmes zu verhindern.
Dass unsere Sicht grenzenlos wird, vermögen Bilder nicht und Worte. Aber unser Fühlen kann in Verbindung mit unserem Wissen Grenzen überwinden.
Hier ist Liliths Beitrag dazu.
Lilith, mit bürgerlichem Namen Henriette van Gasteren begann ihre künstlerische Laufbahn als Autorin mit dem Verfassen erotisch-kulinarischer Geschichten. Als sie für ein Buchprojekt Fotos dazu platzieren wollte, begann sie damit selbst zu fotografieren. Zunächst mit einer Kompaktkamera, dann mit einer Spiegelreflexkamera. 2006 lösten die Fotoarbeiten ihre geschriebenen Geschichten ab. Ihre Idee, mit der Kamera zu erzählen wurde zum zentralen Thema. Für ihre Fotografien erhielt sie  mehrere Preise und Nominierungen. Ihre Arbeiten wurden nicht nur in  den Niederlanden bekannt, sondern für Ausstellungen u.a. in den USA, England und Belgien geordert.

In Dresden waren Arbeiten von ihr erstmals 2013 auf der Ostrale zu sehen. Ihre Inszenierungen aus der Reihe „A house is not a home“ sind faszinierende Selbstbildnisse, die sie in ihr eigens für diese Fotosessions zur Verfügung gestellten Häusern aufnahm.

Die Fotokünstlerin hat sich der Wahrheit verpflichtet. Der Wahrheit zu zeigen, wer sie ist und was sie bewegt. Dabei ist sie auf der Suche nach dem, was Menschen in sich tragen an Werten, an Konfessionen, aber auch an männlichen und/oder weiblichen Anteilen. Indem sie ihre Selbstbildnisse nicht mit Photoshop bearbeitet, zeigt sie mehr von sich als nur nackte Haut. Sie zeigt Seele.

In ihrer nun hier vorgestellten Fotoreihe „Intrauterine“ ist die Nacktheit der Seele das bestimmende Thema. Die Aufnahmen dazu wurden von ihr mit einem Mobiltelefon Nokia Lumia 800 gemacht. Die 2013 entstandene Serie offenbart intimste Gefühlszustände und fordert die Empathie des Zuschauers. Mit den ungewöhnlich kleinen Formaten wird die sehr persönliche Note der Fotografien noch verstärkt. Fast schämt man sich einen so direkten Einblick in einen Raum zu erhalten, in dem man normalerweise ungestört entspannt und vom Alltag loslässt.
Versuchen wir es mit Dankbarkeit.
Wir danken Lilith für diese ungewöhnlichen Einblicke und wünschen der Künstlerin eine Aufsehen erregende Ausstellung hier in der Galerie Kunstkeller.

14.April 2015
Solvig Frey
http://www.solvig-frey.de/

Mit Solvig Frey bei Galerie Kunstkeller aktfotoARTdresden

Mit Solvig Frey bei Galerie Kunstkeller aktfotoARTdresden